„Nur keine Suppe mehr!“

Flutopfer an der Ahr: Das Catering im Notstandgebiet war über Monate hinweg eine besondere Herausforderung. Viele Firmen halfen.

Es ist Nachmittag im frühen September, ein sonnig-warmer Freitag, und an den drei großen Zelten auf dem freien Platz mitten in Marienthal treffen Einwohner und Helfer ein, müde, staubig, erschöpft vom Schuttwegräumen. Tag 50 nach der Flutkatastrophe an der Ahr. Es gibt kühles Wasser und Limo oder heißen Kaffee. Und hoffentlich neue Infos darüber, wer ihnen ab nächster Woche das Essen bringt. Das Catering im Notstandsgebiet über Monate hinweg ist die besondere Herausforderung.
Auf dem Platz mit den Zelten stehen auch einige Container: für die Lagerung von Lebensmitteln, als Duschkabine, für Wasservorrat, als Büro sowie eine Reihe Dixieklos. Weitere Container als Aufenthaltsraum und zum Wohnen sollen noch kommen. Früher – vor dem 15. Juli 2021 – standen hier einmal zwei Häuser. Jetzt ist davon nichts geblieben. Nur noch Geröll, verbogener Betonstahl, Steine, Staub. Marienthal ist ein kleines Weindorf – gegründet und gewachsen um ein Augustinerinnenkloster von 1137 auf der linken Seite der Ahr. Rund 105 Einwohner leben hier – eigentlich – vor allem vom Weinbau und dem Weintourismus. Jetzt sind 90 % der Häuser beschädigt.
„Noch eine Woche lang bekommen wir Mahlzeiten geliefert, dann ist Schluss”, sagt die blonde Steffi, die immer an den Wochenenden vom Rhein hierher nach Marienthal fährt, um zu helfen. „Das DRK hatte mir nur eine Zusage für zwei Wochen gemacht.” Warum nur so kurz, das weiß sie nicht. Seither ist sie über Social media unterwegs auf der Suche nach Hilfe. 50 Portionen, unter der Woche, mehr ist es nicht. An Wochenenden schon mal bis zu 150, wenn die Freiwilligen kommen.

Monatelang Notversorgung

Vier Woche lang hätten Frauen von der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Neuwied für sie gekocht, erzählt HP. Das war lecker gewesen. Ein Zufallsfund, den die Steffi im nahegelegenen Gasthaus Bunte Kuh gemacht hatte. Die Frauen hatten zuerst dort ihre Kochdienste angeboten, doch die ebenfalls schwer von der Flut getroffenen Gastwirtsleute hatten noch einen Grill und konnten sich so behelfen. Gerne versorgten die Neuwieder zeitweise das kleine Weindorf. Dann übernahm das Deutsche Rote Kreuz (DRK).
Die Hilfsorganisation hatte für die Versorgung der Menschen ein großes Verpflegungszentrum aufgebaut, das täglich 10.000 warme Mahlzeiten sowie 10.000 Lunchpakete für Betroffene zubereiten und ausliefern konnte. Von diesem Feldlager oberhalb von Bad Neuenahr-Ahrweiler wurden zeitweise bis zu 55 Ausgabestellen entlang der Ahr täglich bedient. Doch fortan soll die Notversorgung der Menschen dezentral geregelt, lokale und regionale Anbieter eingebunden werden. Kalkuliert wird mit 6000 Portionen, sagt die zuständige Behörde. So kocht jetzt auch die L&D GmbH mit Sitz im nahen Grafschaft täglich 4000 Portionen, davon 70 % mit Fleisch und 30 % vegetarisch. Geschäftsführer Jürgen Preuß freut der Leistungsvertrag, schließlich komme man aus einer Coronazeit. Das Unternehmen mit aktuell 988 Beschäftigten gibt 30.000 Portionen pro Tag aus – vor allem an Betriebskantinen.

Feldküche bringt Abwechslung

Das kleine Marienthaler Organisationsteam schöpft inzwischen neue Hoffnung: Heute sind Volker und Britta aus dem 50 km entfernt gelegenen Koblenz gekommen. Um mit ihnen übers Essen zu reden: aus einer modernen Feldküche, täglich heiß, mit Gemüse aus der Region und selbstgemachtem Obstsalat.
Fast zu schön, um wahr zu sein. Was sich die Marienthaler wünschen? „Nur keine Suppe mehr!”. Da trifft es sich gut, dass die beiden Koblenzer nicht mit leeren Händen, pardon Transportboxen, gekommen sind: Burgunderbraten und Bratkartoffeln sind schnell verteilt. „Endlich jemand, der verstanden hat, dass wir Zähne haben“, freut sich HP und langt herzhaft zu.
Die Horst Heidger GmbH & Co. KG ist Quelle dieser Köstlichkeit. Der Fleischgroß- und Einzelhandel in Koblenz ist unversehens zum Standort für die mobile Kochstation –eine moderne Feldküche von Kärcher mit vier Kochstellen – geworden. Geschäftsführer Julian Zimmer leistet damit Nachbarschaftshilfe für die British Premium Cars GmbH, die nebenan ihren Sitz hat. Deren Prokuristin Nina M. Oertel hat die Feldküche und damit die Hilfe fürs Katastrophengebiet organisiert. Ein kongeniales Duo: Dank der Metzgerei können Lebensmittel und Speisen gut gekühlt werden, und die Mahlzeiten können mit den Fahrzeugen des Autohauses („Land Rover hilft helfen“) vom Rhein an die Ahr gefahren. Die Versorgung der Marienthaler ist gesichert. Es ist eine besondere logistische Herausforderung, die es für alle Beteiligten neben dem laufenden Geschäft zu bewältigen gilt. Lebensmittel müssen beschafft und zubereitet werden. Täglich rund 800 Portionen werden auf den Weg gebracht in ein Gebiet mit zum Teil zerstörten Straßen und Brücken.

Herzensangelegenheit

Für den 31-jährigen Fleischermeister Julian Zimmer ist die Hilfe eine Herzensangelegenheit. Der Enkel des Firmengründers Horst Heidger war direkt einen Tag nach der Flut vor Ort gewesen, um in Erfahrung zu bringen, was er tun kann. „Wir haben auch mit dem DRK gesprochen, und natürlich hat unsere Fleischerinnung geholfen”, sagt der Geschäftsführer. Julian Zimmer ist daher nicht selten auch Anlaufstelle für Spenden unter anderem seiner Kunden, Lieferanten und Fleischerkollegen aus ganz Deutschland geworden. So lagerten zum Beispiel 33 Paletten geschnittene Kartoffeln oder hunderte Kilo Schweinebraten zeitweise in seinem Kühlhaus. Inzwischen schaltet er sich mit seinem Betrieb, bei dem unter anderen die Gastronomie, Großküchen und die Schifffahrt auf der Kundenliste stehen, auch ins Kochgeschäft ein. Eine gute Unterstützung für die gasbetriebene Feldküche. British-Premium-Cars-Prokuristin Nina Oertel ist es ein besonderes Anliegen, dass mit der Feldküche nicht nur Gulasch- oder Kartoffelsuppe gekocht werden kann. Das als „Hilfe zur Selbsthilfe“ angelegte Projekt geht nun „ins operative Geschäft über“, so Nina Oertel. Die Feldküche wird demnächst ihren Standort an der Ahr finden.

Andrea Wohlfart
(Artikel aus „Catering Management Jahrbuch“ #5 2021 / S. 56 ff. / www.catering.de)